Computergestütztes Lernen und Unterstützte Kommunikation für Schülerinnen und Schüler mit einer körperlichen / geistigen Beeinträchtigung

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Praxisbeispiel Integration: Hilfe in der Geometrie

eingestellt am: 12.11.2008, 19:03 Uhr
eingestellt von: Wolfgang Schaible
über den Autor: Mitglied der CLUKS-Redaktion, Technische, Beratungszentrum für Computer- und Ko

Beschreibung:

Im Folgenden wird ein Beispiel aus der Integration beschrieben: Eine Schülerin mit körperlichen Beeinträchtigungen, die die 5. Klasse einer Hauptschule besucht, erhält mit Hilfe des Einsatzes eines dynamischen Geometrieprogramms neue Möglichkeiten, adäquat am Unterricht ihrer Klasse teilzunehmen.

 

Mit Einzug der neuen Medien an den Schulen haben sich dynamische Geometrieprogramme im Mathematikunterricht an vielen Schulen etabliert. Sie ermöglichen neue Formen des Unterrichts und helfen, geometrische Zusammenhänge am Bildschirm anschaulich zu machen.

Darüber hinaus bieten diese Programme für Schülerinnen und Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen neue Möglichkeiten der Teilhabe und Mitgestaltung im Unterricht.

Denn diesen Schülerinnen und Schülern ist es in einigen Fällen auf Grund ihrer motorischen Einschränkungen nicht oder nur unzureichend möglich, Geometrie mit den klassischen Werkzeugen zu erfahren und auszuüben. Für diese Schülerschaft ersetzt der Computer inklusive Software das Mathematikheft, Stift, Lineal, Geodreieck und so weiter. Soft- und Hardware übernehmen hier also - auch - die Funktion einer Prothese.

 

Dynamische Geometrie erweitert Sichtweisen im Geometrieunterricht

 

Zum Erkunden von geometrischen Zusammenhängen, zum Aufstellen von Vermutungen und zum Finden von Beweisideen sind dynamische Geometrieprogramme bereits seit längerem als besonders geeignete Hilfsmittel bekannt. Dynamische Geometrieprogramme bieten eine Fülle von Ergänzungen zu üblichen geometrisch-mathematischen Aufgabenstellungen und Arbeitsweisen und machen manche erst möglich. Das wesentlich Neue gegenüber dem klassischen Zeichnen mit Zirkel und Lineal ist dabei, dass die Ausgangsdaten, beispielsweise die Eckpunkte eines Dreiecks ABC, nach einer durchgeführten Konstruktion, etwa des Innen- und Umkreises, nahezu beliebig verändert werden können. Die abhängigen Größen, beispielsweise die Seiten des Dreiecks, Radien der Kreise, Koordinaten der Kreismittelpunkte verändern sich gemäß dem erfolgten Konstruktionsweg jeweils mit.

 

Bild 1. Dreieck ABC mit Innen- und Umkreis Bild 2. Punkt B wurde mit der Maus verschoben

 

Der geometrische Zusammenhang zwischen den einzelnen Komponenten der Konstruktion bleibt dabei stets erhalten, beispielsweise geht der Umkreis stets durch die drei Eckpunkte des Dreiecks ABC, der Innenkreis berührt immer alle drei Seiten.

 

Erweiterte Bedeutung des Einsatzes dynamischer Geometrieprogramme für Schülerinnen und Schüler mit motorischen Einschränkungen

 

Die einzusetzende dynamische Geometriesoftware muss unter erweiterten Gesichtspunkten betrachtet werden. Für manche Menschen mit Körperbehinderung ist es beispielsweise auf Grund ihrer Einschränkungen nicht möglich, mit einer Maus die Klick-und-Zieh-Funktion auszuüben. Es wäre in diesem Fall also ein entscheidendes Kriterium, die Software ohne Klick-und-Zieh-Funktionen bedienen zu können. Allgemein gilt, dass das Programm so programmiert sein muss, dass die Schülerin oder der Schüler mit ihren individuellen motorischen Einschränkungen damit zufriedenstellend und möglichst selbstständig arbeiten kann.

Einige Schülerinnen und Schüler unterliegen so starken motorischen Einschränkungen, dass sie mit Hilfe der klassischen Geometriewerkzeuge gar keine oder nur unzureichende grundlegende Erfahrungen in Geometrie machen können. Hier soll das Geometrieprogramm ermöglichen, solche Erfahrungen, wie beispielsweise das Messen von Strecken, möglichst analog zu der klassischen Arbeitsweise im Heft zu machen.

 

Der Einsatz von Dynageo/Euklid im Geometrieunterricht in der 5. Klasse einer Hauptschule

 

Eine Schülerin mit starken motorischen Einschränkungen besucht integrativ an einer Hauptschule in Baden-Württemberg die 5. Klasse. Sie hat einen Computer als Schreibhilfe.

Als Mausersatz verwendet sie eine sogenannte Joystickmaus , in Geometrie arbeitet sie mit dem Programm Dynageo/Euklid .

Während einer Softwareschulung der betreuenden Kooperationslehrerin sowie der Unterrichtsbegleitung am Beratungszentrum für Computer- und Kommunikationshilfen in Markgröningen bemängeln die Kolleginnen, dass das Programm kein Geodreieck als Messwerkzeug beinhaltet, mit dem die Schülerin beispielsweise Geraden darauf überprüfen kann, ob sie senkrecht oder parallel zueinander sind. Dies ist zu diesem Zeitpunkt Unterrichtsinhalt in der Klasse.

 

In der folgenden Zeit wird am Beratungszentrum ein Geodreieck als Messwerkzeug in Dynageo/Euklid entworfen, welches auf Bedarf ein- und ausgeblendet, gedreht und verschoben werden kann.

 

Bild 4: Geodreieck für Euklid/Dynageo: Der Schieberegler links oben lässt das Geodreieck wahlweise sicht- oder unsichtbar werden.

 

Damit ist es der Schülerin nun möglich, vorgegebene Strecken und Geraden auf Parallelität oder Orthogonalität zu überprüfen, aber auch Längen und Winkel zu messen, Strecken in einem bestimmten Winkel zueinander und mit einer bestimmten Länge zu zeichnen und so weiter. Dies geschieht durch entsprechendes Positionieren des virtuellen Geodreiecks am Bildschirm analog zum Anlegen eines realen Geodreiecks in einem Mathematikheft oder Arbeitsblatt.

 

Nachdem dem Hersteller von Euklid/Dynageo von verschiedenen Seiten der Wunsch angetragen wurde, ein Geodreieck in seine Software einzubinden, hat er dies in der Version 3.1f umgesetzt. (siehe auch: www.dynageo.de )

 

Fazit und Ausblick

 

Das aufgeführte Beispiel zeigt, wie der Unterricht im Fach Geometrie der Klasse 5 für eine Schülerin mit starken motorischen Einschränkungen durch den Einsatz neuer Medien ermöglicht, verbessert oder erweitert werden kann.

Es zeigt auch, wie aus allgemeinen Anforderungen individuelle Lösungen entstehen können, die wiederum für andere Schülerinnen und Schüler Verwendung finden beziehungsweise sinnvolle Erweiterungen darstellen können. Die Mehrzahl der zurzeit vorhandenen und an Schulen eingesetzten Programme ist nicht speziell für körperbehinderte Menschen konzipiert. Diese Programme lassen sich aber meistens ohne größere Veränderungen übernehmen oder adaptieren. Als eindrückliches Beispiel sei hierzu die Spracherkennung genannt. In einigen Fällen ist es jedoch notwendig oder wünschenswert, die angebotene Software anzupassen oder zu erweitern, um sie Schülerinnen und Schülern mit individuellen Einschränkungen nutzbar zu machen. Die Vergangenheit und das beschriebene Beispiel zeigen, dass es sich lohnt, mit den Herstellern in Kontakt zu treten und entsprechende Veränderungen anzuregen. Dies gilt besonders für die Hersteller von Software, die speziell für behinderte Menschen entwickelt wird.

 

Der Einsatz der Neuen Medien im Unterricht ist sicherlich kein Allheilmittel, erfährt aber für Schülerinnen und Schüler mit motorischen Beeinträchtigungen und deren Umfeld in vielen Fällen eine erweiterte Bedeutung, indem er den Schülerinnen und Schülern eine Teilhabe und Mitgestaltung am Unterricht ermöglicht, die für diesen Personenkreis ohne diese Hilfen nicht oder nicht in dieser Qualität möglich wären.

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